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Kurvendiskussion: Was ARD und ZDF nach vorne bringt



Gerne weniger senden, aber mehr Gutes!

 

Das Genöle über die Öffentlich-Rechtlichen - es nervt so!


Markus Söder hat mal wieder Ideen – diesmal wie man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk weiter kleinschrumpfen könnte. Mindestens 20 Sender (14 davon Radioprogramme) seien überflüssig, sagte er bei der Klausurtagung der CSU-Landtagsfraktion in Kloster Banz. Außerdem könne man 3sat und arte zusammenlegen sowie die Zahl der Orchester und Chöre bei den öffentlich-rechtlichen halbieren.


Das sind alles keine neue Ideen. Seit ich Journalist bin, höre ich Forderungen wie diese: Radio Bremen und der Saarländische Rundfunk sollten in NDR bzw. SWR aufgehen. Der Vorschlag kommt immer von jenen, die weit weg von Saarbrücken oder Bremen leben und machtpolitisch Gewinner einer solchen Zusammenlegung wären. Selten argumentieren Ideengeber mit den Interessen und Bedürfnissen des Publikums oder der Relevanz von Inhalten. Kleine Ausnahme: der Bericht des Zukunftsrates zur Reform der Öffentlich-Rechtlichen. Besonders darin die Vorschläge zu Eigenständigkeit und Unterscheidbarkeit der Programme und zur zentralen Leitung der ARD als Dachorganisation der Landesrundfunkanstalten.


Vorweg: Ich bin für Schrumpfungen im öffentlich-rechtlichen System – sie geschehen übrigens bereits seit mehr als 20 Jahren. Die nächste Stufe dieses Prozesses hat 2023 planerisch begonnen und soll 2024 umgesetzt werden: die Zusammenarbeit der Fachredaktionen aller Rundfunkanstalten mit dem Ziel, weniger redundante Programmmenge zu produzieren. Das ist nötig und war längst überfällig. Aber als großer Fan des öffentlich-rechtlichen Systems und aus Kenntnis der kreativen Köpfe, die dieses Programm bislang gestalten, schmerzt es mich auch. Wie Schrumpfen und dennoch Fan sein zusammen gehen? Einfach bis zum Ende lesen!

Seit Beginn meiner journalistischen Tätigkeit pendele ich zwischen Privatwirtschaft (Print, Radio, Fernsehen, Online) und öffentlich-rechtlichem Rundfunk (Radio TV, Online). Zum einen pendle ich, weil ich beide Systeme gerne begreifen will; zum anderen, weil ich mir im jeweiligen System immer das suche, was Sinn macht und wo ich sinnstiftend arbeiten kann. Niederlagen und Frust gehörten für mich in beiden Systemen stets dazu. Was ich in beiden Welten erfahren und gelernt habe, versuche ich heute bei meiner Arbeit als Coach weiterzugeben.


Es geht ja nicht um entweder – oder. Beides macht Sinn. Das privatwirtschaftliche System findet unter den gegebenen Rahmenbedingungen eh seinen Platz im Markt und passt sich den Bedürfnissen des Publikums an. Und das öffentlich-rechtliche System macht Sinn mit Blick auf unsere deutsche Vergangenheit - bislang hat es dabei geholfen, unser demokratisches System zu stabilisieren. In den meisten Ländern Europas haben sich ähnliche Systeme über Jahrzehnte bewährt: Großbritannien, Dänemark, Schweden, Schweiz, Frankreich, Italien, Slowenien, Polen…. Allerdings: Wenn ich die Liste von hinten nach vorne lese, wird mir auch klar, dass in einigen dieser Länder das öffentlich-rechtliche System in den letzten Jahren immens großen Schaden genommen hat und heute teilweise nicht mehr funktional ist. Möglicherweise ist das bald auch bei uns so.

Warum ich dennoch für Schrumpfungen im öffentlich-rechtlichen System bin? Weil trotz des immensen Wandels der vergangenen 15 Jahre noch nicht alle Fehler im System behoben sind. Da geht noch zu vieles am Publikum und dem Bedarf einer Demokratie vorbei; da ist noch zu vieles Selbstzweck – will sagen: Das System ist mit sich selbst beschäftigt und nicht damit, dem Publikum die bestmöglichen und relevantesten Geschichten zu erzählen im Bereich Information, Wissen, Kultur, Unterhaltung und Sport. - Wir müssen nicht so viel versenden. Aber wir müssen so vieles besser senden!


Alles schlimm? Gar nicht – im Gegenteil: Das öffentlich-rechtliche System war noch nie so gut wie heute. Und weil ich es vor ein paar Tagen so vom ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke in einem Podcast gehört habe: ZDF und ARD erreichen in Deutschland mit ihren Mediatheken zusammen mehr Menschen als weltweit tätige privatwirtschaftliche Online-Giganten wie Amazon. Laut Gniffke, „ist der Tag nicht so sehr fern, an dem Netflix unseren heißen Atem im Nacken spürt!“

Warum aber noch so einiges bei den Öffentlich-Rechtlichen zu tun ist? Weil es von 1945 mit der Gründung der ersten öffentlich-rechtlichen Anstalt, dem Nordwestdeutschen Rundfunk, bis zum heutigen System 2024 ein weiter Weg war. Da haben sich Gewohnheiten und Routinen entwickelt, die zwar einerseits für Stabilität sorgen, aber manchmal eben auch mögliche Verbesserungen ausbremsen. Was bei den Privaten häufig zu schnell und zu sehr top down entschieden wird, dauert beim Öffentlich-Rechtlichen ob der vielen Gremien und Hierarchieebenen meist viel zu lange. Und für beide Systeme gilt: Nicht immer sind jene, die die Arbeit machen und Detailkenntnis in der Sache besitzen, ausreichend in die Entscheidungen einbezogen. Dennoch hat sich in den letzten zehn Jahren enorm viel getan bei den Öffentlich-Rechtlichen, und die Qualität der Veränderungsprozesse und mutiger Versuche mit neuen Strukturen und innovativem Programm sind lobenswert.


Als das System nach Vorbild der BBC auf Betreiben der Alliierten bei uns eingeführt wurde, war dies ein völliger Neuanfang – öffentlich-rechtlich organisierte Medien gab es bis dato nicht in Deutschland. Mit Nordwestdeutschem Rundfunk, Mitteldeutschem Rundfunk und Südwestfunk, später Bayerischer Rundfunk und Hessischer Rundfunk, entwickelte sich unser öffentlich-rechtliches System munter über die Jahrzehnte. Und es kamen immer weitere Sender und Programme dazu. Die meisten Deutschen konnten Ende der 1960er Jahre neben einigen Radioprogrammen nur drei Fernsehprogramme empfangen: ARD, ZDF und das Regionalprogramm der ARD im jeweiligen Bundesland; in Ostdeutschland gab es den Rundfunk der DDR und je nach Empfangbarkeit mehr oder weniger Westfernsehen.

Die das Programm machten, waren in ihren Redaktionen weit weniger der lauten öffentlichen Kritik ausgesetzt als heute. Zwar blies ihnen - je nach Hauspolitik und Führungskultur - ein mehr oder weniger kalter Wind intern entgegen; aber was da redaktionell entstand, hatte Bestand und eine Art Eigenleben. Erfolg war keine Frage von Verkauf und Quote: Entscheidend war, dass gesendet wurde – denn damit war es in der Welt. Reaktionen des Publikums nahm man zur Kenntnis: freudig, wenn sie positiv waren; mitunter schulterzuckend bis stoisch, wenn es sich um Kritik handelte. Gleichwohl wurde interne darüber diskutiert und gerungen, wie das bestmögliche Programm auf Sendung kommt.


Mitte der 1980er Jahre wurde alles anders. Mit dem Sendestart von Sat.1 und RTL plus begann eine neue Ära. Zwar haben sich die Hoffnungen von konservativen Politikern nie erfüllt, dass man mit den Privatsendern das konservative Wählerlager im eigenen Sinne beeinflussen könnte. Ein Verlust der Reichweite der Öffentlich-Rechtlichen und damit vielleicht auch ein Verlust an Bedeutung waren dennoch nur logisch. Mit jedem neuen Privatsender hatte das Publikum mehr Auswahl – statt drei Programmen gab es für die meisten Mitte der 1990er Jahre mehr als zehn. Und wenn man eine Torte in mehr Teile aufschneidet, werden die Stück eben kleiner.


Ich erinnere mich noch gut, wie man den Verlust an Reichweite in öffentlich-rechtlichen Redaktionen zunächst ignoriert und weggelächelt hat. Schließlich arbeiteten die Kolleginnen und Kollegen ja dort, wo es schon seit 1945 immer um Relevanz ging – zumindest meistens. Da wollte man nicht nach Quoten schielen! Diese Haltung hielt nach meiner Wahrnehmung bis zur Jahrtausendwende an. Doch mit jedem Jahr Privatfernsehen wurde der Verlust an Marktanteilen deutlicher.


Als ich 2011 mit meinen Workshops bei öffentlichen-rechtlichen Redaktionen begann, erntete ich noch viel Unverständnis und genervte Kritik, wenn ich mit meinen „Kurvendiskussionen“ begann, bei denen es um Quotenverläufe während einer Sendung ging – also um messbaren Erfolg oder Misserfolg beim Publikum. Seit einigen Jahren protestiert niemand mehr, wenn wir in Workshops die Qualität eines Beitrags nicht nur an inhaltlicher Relevanz und einer nachvollziehbaren Erzählweise festmachen, sondern auch ob die Inhalte überhaupt gefunden und verstanden werden.

Das öffentlich-rechtliche System ist in der Realität eines privatwirtschaftlich organisierten Marktes angekommen und setzt sich mit dessen Regeln auseinander – doch es gelten für die Öffentlich-Rechtlichen eben nicht die Regeln der Privatwirtschaft. Und das ist gut so. Das von der Politik und wirtschaftlichen Interessen unabhängige Berichten ist ein hohes Gut. Das Ansprechen von vielfältigen Publikumsinteressen ebenso – und das ist eben etwas anderes als die Interessen der Mehrheit. Wem Letzteres genügt, braucht kein öffentlich-rechtliches System – den Massenmarkt wird die Privatwirtschaft immer gut bedienen. Dort wo es um Partikularinteressen geht, um unabhängige Kontrolle, um das Erklären komplexer Zusammenhänge, da braucht es arbeitsfähige öffentlich-rechtliche Sender. Die dürfen aus meiner Sicht gerne weniger senden, dafür aber noch mehr richtig Gutes.  

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